Dr. Hansdieter Erbsmehl, Kunsthistoriker
Die „Schöne Frau“ (italienisch „bella donna“) steht unvermittelt und ganz ohne Sockel aufragend wie ein Leuchtturm auf einer innerstädtischen Würzburger Hafenmole gegenüber dem Museum Kulturspeicher für die Kunst der Moderne und der Gegenwart.
Die »BELLA DONNA« am Skulpturenufer im Alten Hafen zu Würzburg
Es scheint, als schiebe sie sich in diese unwirtliche, industriell errichtete Landschaft mit ihren ganz eigenen, ungeplanten Biotopen. So wirkt auch diese »Bella Donna« wie ein Nachtschattengewächs ins Stadtbild hinein. Wie der Saft der Schwarzen Tollkirche (atropa belladonna), den die Menschen früher gelegentlich in ihre Pupille rieben und in einen Rauschzustand gerieten, betört sie mit ihren visuellen Reizen. Sie ist eine Augenweide inmitten des wilden Terrains einer ungenutzten Brache – und damit zugleich ein furioser Auftakt für einen zukünftigen Skulpturenpfad in einem Niemandsland! »Bella Donna« verbindet nicht nur Brücken, Burg und Dom. Sie wertet auch die Stadtökologie auf und versöhnt uns mit der Unwirtlichkeit unserer Städte.
In den vergangenen Jahren hat der 1949 in Steinau bei Fulda geborene und seit geraumer Zeit in Würzburg wirkende Bildhauer mehrfach in der traditionsreichen Domstadt auf sich aufmerksam gemacht. Temporär und permanent haben seine neuartigen, zeichenhaften Plastiken aus industriellem Corten-Stahl die Bauten und Kunstwerke früherer Jahrhunderte in vielfältige symbiotische Beziehungen zueinander gesetzt, z.B. 2007 in Ausstellungen im Kreuzgang des St. Kiliansdoms oder im Mainfränkischen Museum auf der Festung Marienberg. Im selben Jahr hat die Stadt Würzburg Herbert Mehler mit ihrem Kulturpreis ausgezeichnet.
Die Form von »Bella Donna« mag an das pflanzliche Wachstum und bestimmte vegetabile Konstruktionsprinzipien erinnern, ja sogar an die konkav-konvexen Körperlinien einer Frau. Doch sie steht im äußersten – weil konstruierten – Gegensatz zu Natur und Mensch. Ihre vermeintliche Vitalität ergibt sich vielmehr aus einem zupackenden künstlerischen Gestaltungs- und Herstellungsprozess sowie dem kontemplativen Nachvollzug durch die Betrachter.
Die Skulptur »Bella Donna« ist nicht bloß ein weiteres visuelles Experiment im peripheren Stadtraum, sie ist auch kein deponiertes und vergessenes Stadtmöbel ohne praktischen Zweck. Vielmehr wirkt sie wahrzeichenhaft wie ein Wegestein auf einem Wanderpfad, der die Geschichte und die Gegenwart räumlich und visuell miteinander verbindet wie eine Brücke die beiden Ufer, die vorher unerreichbar schienen.